Treffpunkt mit Claudia in vorfrühlingshaft sonnigen Aigle: die Erde ist braun, die Reben sind geschnitten. Das Taxi bringt uns an den Rand des Winters nach Miex hinauf. Auch hier ist es warm, so dass wir von Anfang an im T-Shirt das verschneite Strässchen zum Lac de Tanay hochlaufen. Zwischen den hohen Felswänden auf dem Pässchen tut sich der Blick auf ins abgeschiedene, tief im Schnee vergrabene Sommerdorf Tanay. Eben wird der Kamin auf dem Dach des Refuge du Grammont freigeschaufelt. Hinter dem Refuge führt der Wanderweg in Schleifen angenehm durch den Wald hoch. Erst beim Waldrand wird die heutige Herausforderung klar: der ganze folgende Hang bis zur Alp ist von einer Reihe Grundlawinen überzogen, mit Schollen wie Popkorn. Claudia spurt voraus mit dem Gebot, weite Abstände einzuhalten und den Hang nach oben im Auge zu behalten. Das meiste ist schon unten, die steilen Grashänge oben sind weitgehend aper. Nach fünf Lawinenzügen sind wir bei der Alphütte, froh um eine Pause. Nun haben wir glatte Skihalden erreicht und steigen zum Sattel hoch. In den Felsen über dem Col de Crosses sitzt ein alter Steinbock mit mächtigen Hörnern und geniesst die Sonne.
Wir queren noch einen weiten Hang und erreichen den Gipfelgrat. Weit unter uns starten zwei Gleitschirmpiloten ihren Flug ins Tal. Wir steigen noch ein wenig höher zum Gipfel. Die Aussicht, die sich uns bietet ist umwerfend. Ein 360° Panorama vom Mont Blanc über die ganze Jurakette zu den Berner Alpen und den Walliser Viertausender. Und zu unseren Füssen liegt fast schwarz der Genfersee. Wir geniessen die Sonne und die Aussicht ausgiebig, bevor wir die Ski wieder an die Füsse schnallen.
Der Schnee ist weich, aber die steileren Partien sind recht gut zu fahren. Mit Schwung fährt Jonas auf die Lawinenzüge los, die Beine federn auf und ab und schon ist er darüber. Andere folgen etwas vorsichtiger. Es geht besser als befürchtet. Nach der Hälfte der Traverse bietet sich eine Rippe ohne Schollen zur Abfahrt ins Tal an. Bereits ist der Talboden schattig, der Schnee im Flachen gedeckelt. Jetzt wird das Refuge du Grammont nicht umgangen. Eine hausgemachte Gemüsesuppe stärkt die Geister. Dann führt uns das Strässchen wieder aus dem engen Tälchen in den hellen Sonnenschein von Miex, wo es schon ein bisschen nach Frühling riecht.
Regula Rapp/ Marcus Diacon
⇐